»I would prefer not to« – kein Wahlspruch für Hartz-IV-Empfänger

... und daher auch nicht für die,

die lieber keine werden möchten.

 

Seit einigen Monaten gibt es im virtuellen Raum des Internets ein Zentrum für Karriereverweigerung. Die Autorin Alix Faßmann und der Dramaturg Anselm Lenz haben es ins Leben gerufen und wollen, dass es ein Ort des Zusammenschlusses von Menschen wird, die die üblichen Karrierewege ablehnen und sich gemeinsam auf die Suche nach Alternativen machen.

»Ich möchte lieber nicht«, sagt der Schreiber Bartleby

Das Zentrum für Karriereverweigerung trägt den Namen Haus Bartleby und ist nach einer Figur aus einer Erzählung Herman Melvilles benannt: »Bartleby, the Scrivener« (= Bartleby, der Schreiber; online lesbar hier). Diese Erzählung handelt von einem Aktenkopisten, der sich gegenüber seinem Arbeitgeber, einem Rechtsanwalt weigert, bestimmte, ihm aufgetragene Arbeiten zu erledigen, und diese Verweigerung mit dem berühmt gewordenen Spruch bekundet: »I would prefer not to«.

Das Bemerkenswerte an Bartlebys Verweigerung ist, dass er die Arbeit zunächst weder einstellt noch kündigt, sondern sich, Tag und Nacht Akten kopierend, weiterhin im Büro des Arbeitgebers aufhält. Plötzlich aber gibt er auch diese Tätigkeit auf, bleibt dennoch im Büro und möchte das Haus selbst nach Auszug der Kanzlei nicht mehr verlassen. Schließlich wird er von der Polizei gewaltsam daraus entfernt und in ein Gefängnis mit dem sprechenden Namen »The Tombs« (= die Gräber) gebracht, wo Bartleby, der nun auch die Nahrungsaufnahme verweigert, elend zugrunde geht.

Es ist das Bestreben der sich im Zentrum für Karriereverweigerung zusammen schließenden Menschen, wie Bartleby »Ich möchte lieber nicht« zu sagen und damit den häufig ausbeuterischen Bedingungen des Erwerbsarbeitssystems entgegen zu treten. Das ist erfreulich und in jeder Hinsicht zu unterstützen, zumal Faßmann, Lenz und wohl auch viele ihrer Mitstreiter sich für eine radikale Systemveränderung durch die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens einsetzen. Würde dieses existieren, wäre es auch tatsächlich jedem Erwerbstätigen möglich, »Ich möchte lieber nicht« zu sagen.

»Bartleby, der Schreiber« als Parabel über das Erwerbsarbeitssystem

Solange es das bedingungslose Grundeinkommen nicht gibt, ist es aber leider kaum einem Erwerbstätigen möglich, dies zu tun. Denn, um im Bild der Erzählung zu bleiben: Wer wie Bartleby »Ich möchte lieber nicht« sagt und sich damit im bestehenden System einzurichten versucht, riskiert die Einweisung ins Gefängnis, sprich: den Abstieg in Arbeitslosigkeit und Hartz IV – in die eigens zum Erhalt des Erwerbsarbeitssystems und seiner ausbeuterischen Arbeitsbedingungen errichtete Strafanstalt. Allein die Bedrohung durch Hartz IV und die damit verbundene Einschränkung der persönlichen Freiheit und Autonomie vermag effektiv zu verhindern, dass auch und gerade junge und zu mehr Selbstbewusstsein als frühere Generationen erzogene Erwerbstätige zu echten Karriereverweigerern werden.

Ist der Bartlebyist nämlich erst mal in »The Tombs« angelangt, merkt er schnell, dass Verweigerung keine Helden-, sondern ein Straftat ist. Er darf nicht mehr »Ich möchte lieber nicht sagen«; tut er es doch, wird ihm, um im Bild zu bleiben, die Essensration um 30 % gekürzt. So wundert es nicht, dass dem Bartlebyisten der Appetit vergeht und er aus Protest gegen die ihm angetane Gewalt in den Hungerstreik (Boes lässt grüßen!) tritt.

Freilich muss man als Hartz-IV-Empfänger nicht unbedingt wie Bartleby handeln. Auch wenn man dem Diktat des Systems äußerlich nicht entkommen kann, so besteht immer noch der Weg in die innere Emigration. Heimlich, still und leise (denn zum Glück können auch Jobcenter-Mitarbeiter keine Gedanken lesen) vermag er durchaus »Ich möchte lieber nicht« zu sagen und alles in seiner Macht stehende zu tun, um Aufträge, die er lieber nicht ausführen möchte, zu verweigern. Aber selbst unter diesen Umständen wird einem der Aufenthalt in »The Tombs« auf Dauer nicht leicht gemacht, ja, mit jedem Cent mehr, den der Delinquent den Staat kostet, schwerer.

Aufzeichnungen aus den Katakomben des Erwerbsarbeitssystems

Selbst wenn man nachweisen kann, dass kein Arbeitgeber sich für einen interessiert, muss man sich ständig dafür verantworten. Nicht nur, dass man alle sechs Monate erneut den Knebelvertrag der Eingliederungsvereinbarung unterschreiben muss, in der Regel muss man dabei auch Rechenschaft über seine Situation ablegen. Im Gespräch wird man gefragt, ob sich etwas daran geändert habe (obwohl völlig klar ist, dass dies nicht der Fall ist, sonst würde man ja nicht da sitzen) und was man sonst noch dafür tun könne, die Situation zu ändern.

Vor allem dient das Ritual, das wie anteilnehmendes Interesse aussieht, der Erzeugung von Druck und schlechtem Gewissen. Das geht manchmal sogar soweit, dass das oberste Gebot des Strafvollzugs: »Du darfst nicht ›Ich möchte lieber nicht sagen‹«, kurzfristig außer Kraft gesetzt wird. Ich habe es selbst erlebt:

Seit nunmehr zwei Jahren bin ich zusätzlich zu meinem Halbtagsjob im ALG-II-Bezug und aufgrund meiner Überqualifikation relativ schwer vermittelbar. Zwischenzeitlich zog das Jobcenter sogar einen zweiten Arbeitsvermittler hinzu, der mich hinsichtlich des Aufbaus einer ergänzenden selbstständigen Tätigkeit beraten sollte. Dieser sagte, er werde sich nach passenden Auftraggebern für mich umsehen. In Anbetracht des erfahrungsgemäß geringen Marktwerts meiner Qualifikationen war ich in Bezug auf den Erfolg seiner Bemühungen allerdings skeptisch und verlieh dem auch Ausdruck, was er offenbar als eine Form der Verweigerungshaltung interpretierte. Denn plötzlich sagte er: »Natürlich brauchen Sie die Angebote, die ich Ihnen unterbreite, nicht anzunehmen. Ich zwinge Sie nicht, etwas zu tun, das Sie nicht möchten.«

Ich glaubte, meinen Ohren nicht zu trauen! Ich, die Hartz-IV-Delinquentin sollte plötzlich darüber entscheiden dürfen, welche Aufträge ich annehme und welche nicht? – Im Nachhinein sehe ich natürlich, dass dieses entgegenkommende Verhalten von Seiten des Vermittlers recht clever gedacht war: Seine scheinbare Großzügigkeit hätte es mir nicht nur besonders schwer gemacht, »Ich möchte lieber nicht« zu sagen, für den Fall, dass ich es dennoch gewagt hätte, hätte ich zugleich einen Offenbarungseid als Arbeitsverweigerin geleistet, was es den Vermittlern erlaubt hätte, den Druck auf mich in Zukunft zu erhöhen.

Am Ende musste ich mich allerdings weder für noch gegen »Ich möchte lieber nicht« entscheiden. Denn auch dieser Arbeitsvermittler fand keinen Auftraggeber, der sich für mich und meine Qualifikationen interessierte. Auf seinen Vorschlag hin schrieb ich eine Bewerbung an einen regionalen Bildungsträger, der versprach, meine Unterlagen an die entsprechende Abteilung weiterzuleiten, und hörte nie wieder etwas davon. – Glück gehabt, könnte man jetzt sagen. Aber das möchte ich lieber nicht.

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