Ade Hartz IV!

Paukenschlag!!!

Am 5. November hat das Bundesverfassungsgericht endlich über die Rechtmäßigkeit der Sanktionspraxis im Rahmen des ALG-II-Bezugs geurteilt und - oh Freude: - Streichungen von 60% bis 100% der ALG-II-Zahlungen ab sofort verboten!

Erlaubt bleiben nur noch Sanktionen bis maximal 30% des aktuellen Regelsatzes zur Sicherung der Kosten des Lebensunterhalts (ab Januar 2020: 432 €), und diese dürfen in Zukunft weder aufsummiert werden (wie im Fall der häufig verhängten 10%-Sanktionen bei sog. Meldeversäumnissen: d.h. der "Kunde" hat den vorgeschriebenen Termin nicht wahrgenommen) noch dürfen die Sanktionen, wie das bisher der Fall war, unabhängig von den Lebensumständen des "Kunden" verhängt werden (künftig erfolgt eine Härtefallprüfung), noch dürfen sie unabhängig von der Haltung des "Kunden" über drei Monate verhängt werden: Macht der "Kunde" eine Verhaltensänderung glaubhaft und "wirkt" wie gewünscht "mit", muss das Jobcenter die Sanktion umgehend wieder aufheben.

Auch wenn CDU/CSU, FDP und Teile der SPD das Urteil im Moment noch als grundsätzliche Bestätigung und lediglich Abmilderung ihrer bisherigen Politik auffassen, so werden sie schon sehr bald einsehen müssen, dass das Gericht damit ein "Weiter so!" de facto unmöglich gemacht hat. Die praktische Anwendung der verbliebenen Sanktionsmöglichkeit wird durch die neu geschaffenen juristischen Tatbestände erheblich erschwert, denn sie ist ab sofort mit einem spürbar höheren finanziellen Aufwand verbunden. Bei der Verhängung einer Sanktion muss die Einzelfallprüfung künftig so umfassend ausfallen und die Sachbearbeitung so flexibel und rasch auf Änderungen der Lage reagieren können, dass man nicht umhin kommt, das Personal in den Jobcentern aufzustocken; und wenn das schon erforderlich ist, wird sich natürlich immer lauter die Frage stellen, ob es wirklich sinnvoll ist, das alte Instrument des "Forderns" (das nichts anderes heißt als "Druck machen" und "Bestrafen") weiter zu entwickeln, oder ob man das dafür nötige Geld nicht besser gleich in ein System aus Belohnungen und Anreizen investiert, die man den "Kunden" zur Kooperation anbieten kann.

Dem einen oder anderen dämmert schon, dass dieses Gerichtsurteil von entscheidender Bedeutung für die Zukunft der deutschen Sozial- und Arbeitsmarktpolitik ist. Tatsächlich stellt es keine Bestätigung der Politik dar, die unter dem Schlagwort "Hartz IV" bekannt ist, sondern es vernichtet sie auf subtile Weise. Gewiss, das Gericht erkennt Sanktionen weiterhin als eine Möglichkeit an, Arbeitslose dazu zu bringen, bei der Arbeitssuche mitzuwirken, gleichzeitig aber knüpft es die Verhängung auch jener verbliebenen maximalen 30%-Sanktionen an so viele und komplexe Bedingungen und öffnet dabei der Beschreitung des Rechtswegs so zahlreiche Türen, dass man konstatieren kann: Fortan ist die Sanktionspraxis für die Jobcenter mit Schikanen verbunden, und diese sind jetzt schon so gravierend, dass das Bundesarbeitsministerium die Behörden umgehend ersucht hat, Sanktionen auszusetzen, bis behördliche Weisungen ausgearbeitet sind, die der neuen Rechtslage Rechnung tragen. Wie auch immer diese ausfallen werden, sie werden nur noch eingeschränkt dazu taugen, den "Kunden" der Jobcenter das Leben schwer zu machen.

Und nichts anderem diente die Sanktionspraxis ja bis dato. Denn auch wenn von den gravierenden 60%- und 100%-Sanktionen de facto immer nur ein sehr kleiner Teil der "Kunden" betroffen war, dienten sie vor allem zwei Zielen, die der Staat nun nicht mehr verfolgen kann: Die Androhung des Entzugs der Mittel zum Leben sollte zum einen verhindern, dass Menschen überhaupt zu "Kunden" der Jobcenter werden und lieber schlecht bezahlte Arbeit annehmen, als dem Staat auf der Tasche zu liegen, und sollte zum anderen verhindern, dass "Kunden", die es trotz der drohender Existenzvernichtung nicht schaffen, eine solche Arbeit zu finden, sich so schnell und effizient wie möglich darum bemühen, eine zu bekommen.

In Anbetracht dieses Zwecks der bisherigen Sanktionspraxis wird das Ausmaß der Veränderung, das das Verfassungsgerichtsurteil für die Politik haben wird, deutlich erkennbar: Das oberste Gericht hat den Staat des effizientesten Mittels beraubt, Arbeitslose und Menschen, die von Arbeitslosigkeit bedroht sind (und das sind bekanntlich ziemlich viele) einzuschüchtern und ihr Selbstwertgefühl zu zerstören. Auch Arbeitslose sind jetzt endlich wer und müssen sich nur noch ein bisschen gängeln lassen, streng genommen sogar nur noch dann, wenn sie offenkundig unkooperativ sind und zum Beispiel ein Arbeits- oder Weiterbildungs-"Angebot" ablehnen, zu dessen Annahme man sie bisher zwingen konnte.

Auch für mich persönlich, die ich voraussichtlich bald wieder "Kundin" des ortsansässigen Jobcenters werde, ist das eine großartige Nachricht. Es ist mir zum Glück zwar wieder einmal gelungen, der Vollabhängigkeit vom ALG II zu entgehen, in Ermangelung ausreichenden Einkommens und jeglichen Interesses von Arbeitgebern an mir und meinen Qualifikationen, werde ich demnächst aber wohl wieder gezwungen sein, aufstockend ALG II zu beantragen. Ich bin jetzt schon gespannt auf den viel beschworenen "Kulturwandel", den die Behörde nun durchmachen muss, um ihre "Kunden" auf weniger destruktive Weise zur "Mitwirkung" bei der Arbeitssuche zu bewegen. Falls  der Kulturwandel dann doch nicht so rasch gelingen sollte, kann ich mir immerhin gewiss sein, dass es von nun an eine ganz neue und reichhaltige Palette an Möglichkeiten gibt, rechtlich gegen schikanöse Bescheide von ewig gestrigen Sachbearbeitern vorzugehen.

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